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Grüne Liga Brandenburg e. V.

Lindenstraße 34

14467 Potsdam

 
 
 
 
 
 

Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e. V.

Prinz-Albrecht-Straße 55

53113 Bonn

 
 
 
 
 
 

Offener Brief

Erörterungstermine in umweltrechtlichen Verwaltungsverfahren

Sehr geehrte Frau Hasselmann,

sehr geehrter Herr Kutschaty,

sehr geehrter Herr Kuhle,

 

mit diesem Schreiben möchten wir uns an Sie als Vertreterin und Vertreter Ihrer Parteien in der Arbeitsgruppe 1 "Moderner Staat und Demokratie", die insbesondere die Themen "Planungsbeschleunigung und Partizipation" im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP behandelt, wenden.

 

Die unterzeichnenden Organisationen sind äußerst besorgt, dass aufgrund zukünftiger Entscheidungen in Koalitionsverhandlungen über Planungsbeschleunigungen Erörterungstermine in umweltrechtlichen Verfahren gänzlich entfallen könnten oder nur noch in Ausnahmefällen durchgeführt würden. Der Erörterungstermin ist eine seit Jahrzehnten bestehende Errungenschaft im Umweltrecht und Ausdruck einer Gesellschaft, die auf Partizipation setzt. Erörterungstermine sind ein fester Bestandteil unserer gelebten Demokratie. Sie stellen einen Dialog auf Augenhöhe mit der Bevölkerung dar. Auf einem derartigen Termin können Einwendende, Antragsteller sowie Behörden ganz erheblich zu einer optimalen Sachverhaltsaufklärung und damit zu sachgerechten Entscheidungen beitragen.

 

Grundlage eines Erörterungstermins sind die vom Vorhabenträger vorgelegten Antragsunterlagen und die darauf beruhenden Einwendungen von Behörden, Verbänden oder betroffenen Bürgerinnen und Bürgern. Die Anhörung gestattet üblicherweise einen Dialog zwischen einzelnen Beteiligten, ermöglicht Nachfragen und führt im Idealfall auch zu Kompromissen, um das Vorhaben für alle Betroffenen akzeptabel zu gestalten.

 

Von zentraler Bedeutung ist die Sachverhaltsaufklärung im Erörterungstermin. Nur wenn beispielsweise Antrag­steller und Fachbehörden konkret zu den Fragen und Bedenken der Einwendenden Stellung nehmen, können die notwendigen Grundlagen einer sachgerechten Verwaltungsentscheidung hinsichtlich komplexer Vorhaben geschaffen werden. Dies dient gerade dem Schutz der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen.

 

Ein solcher Dialog kann aber nur bei einer persönlichen Interaktion von anwesenden Personen entstehen. Ein rein verschriftlichtes Verfahren, wie es derzeit die im Planungssicherstellungsgesetz geregelte Online-Konsultation ist, führt zwar zu einem Austausch von Argumenten, kann aber keine Aufklärung von Miss­verständnissen, Beantwortung von Nachfragen, die aus der Erwiderung entstanden sind und kein Abwägen von Kompromisslinien ermöglichen, weil der Frage-Antwort-Wechsel unterbrochen ist bzw. nicht erfolgt.

 

Die aktuellen Erfahrungen mit Online-Konsultationen, die gemäß dem Planungssicherstellungsgesetz die Erörte­rungstermin durch rein schriftliche Verfahren ersetzen, untermauern unsere Einschätzung. Im Rahmen dieser Online-Konsultationen werden die Einwendungen gegen ein Vorhaben sowie die Äußerungen der Behörden und des Antragstellers in einer Synopse zusammengefasst. Anschließend können die Einwendenden letztmalig Stellung zu den in der Synopse dargelegten Aussagen nehmen. Danach endet die Beteiligung der Öffentlichkeit.

 
 
 
 
 
 

Es ist festzustellen, dass dieses Verfahren eine systematische Sachverhaltsaufklärung behindert bzw. unmög­lich macht. So wird das Verhalten von Antragstellern gefördert, auf vorgebrachte Einwendungen mit schema­tisch-formelhaften Erwiderungen zu reagieren. In einem direkten Dialog wäre ein derartiges Ausweichen nur schwer möglich. Erst durch konkrete Nachfragen kann überhaupt eine abschließende Klärung wichtiger Sach­verhalte erfolgen. So können auch Behörden Einwendende in diesem Online-Konsultationsformat nicht fragen, worauf sie ihre Einschätzungen stützen.

 

Zudem hat eine derartige Struktur einen abschreckenden Charakter gegenüber Einwendenden. Wer sich durch mehrere hundert Seiten einer Synopse durcharbeiten und dann ggf. zu einer Vielzahl von Passagen Stellung nehmen muss, wird nicht ermuntert, sich hieran zu beteiligen. Demgegenüber können alle Einwendenden an einem Erörterungstermin teilnehmen und sich je nach Situation entscheiden, ihre Einwendung vorzutragen, zu untermauern oder zu konkretisieren. Die Online-Konsultation hemmt den sachdienlichen Austausch im Verwaltungsverfahren und bedeutet daher einen substanziellen Verlust an Partizipation.

 

Auch für die jeweilige Genehmigungsbehörde wird es insbesondere bei großen Verfahren einen erheblichen Aufwand bedeuten, eine derartige Synopse zu erstellen und die schriftlichen Stellungnahmen der Einwendenden anschließend auszuwerten. Im Gegensatz zum Erörterungstermin ist dies keine Optimierung von Verwaltungsverfahren.

 

Und auch die Rechtssicherheit von Behördenentscheidungen wird durch Online-Konsultationen geschwächt. Während sich auf einem Erörterungstermin offene Fragen klären lassen bzw. gravierende Defizite erkannt werden können, führt das rein schriftliche Verfahrensformat dazu, dass diese Klärungsprozesse nicht mehr in Verwaltungsverfahren sondern im Rahmen gerichtlicher Überprüfungen erfolgen. Durch diese beschriebene Verschiebung der Klärungsprozesse vom Verwaltungs- zum Gerichtsverfahren werden diese schriftlichen Verfahren genau das Gegenteil von Planungsbeschleunigungen bewirken.

 

Wir lehnen daher rein schriftliche Anhörungsverfahren als bürgerferne und nicht auf Konsens zielende Veranstaltungen ab. Dabei geht es nicht nur um den bürokratischen Aufwand für die Behörde. Zentral ist vielmehr die Reaktion der Betroffenen, die sich ohnmächtig einer Flut von Dokumenten gegenübersehen und denen der persönliche Diskurs entzogen wird. Im schlimmsten Fall kann das zu Staatsverdrossenheit mit allen daraus resultierenden Folgen führen.

 

Wir bitten Sie daher, sich im Rahmen Ihrer Arbeit in der Arbeitsgruppe 1 dafür einzusetzen, dass spätestens mit Auslaufen des Planungssicherstellungsgesetzes am 31.12.2022 der Zustand vor Inkrafttreten des Planungssicherstellungsgesetzes wieder hergestellt wird. Rechtliche Bestimmungen, die die Weiterführung rein schriftlicher Verfahren an Stelle von Erörterungsterminen zum Inhalt haben, dürfen zudem nicht an die Stelle entsprechender Passagen des Planungssicherstellungsgesetzes treten.

 

Mit freundlichen Grüßen

 
 
 
 
 
 

Heinz-Herwig Mascher

Vorsitzender des Landessprecherrates des Grüne Liga Brandenburg e. V.

 
 
 
 
 
 

Oliver Kalusch

Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes des BBU